Ulrich Seidl über Paradies Hoffnung


Wieso ist der dritte Teil der Paradies Trilogie nicht so drastisch wie die vorangehenden Filme? Einige Zeitungen schreiben sogar, dass es dein wärmster und nettester Film ist, den du je gemacht hast.

Meistens werde ich ja mit dem Gegenteil konfrontiert. Dann fragen mich die Leute: „Warum müssen Ihre Filme so arg sein?“. Jetzt mache ich einen Film, wo es nicht so arg ist und dann passt es auch wieder nicht.

 

Für deinen letzten Film Paradies – Hoffnung hast du ein Diät-Camp abgehalten?

Ja. Der Dreh selber war in einer lehrstehenden Schule, die wir als Location für den Film genutzt haben und gleichzeitig war es ein Diät-Camp, das wir für die Produktion abgehalten haben. Das hat natürlich bestimmte Vorteile gehabt.  Die Kinder waren tagsüber mit Betreuern und Ernährungsberatern beschäftigt und hatten ein striktes Programm. Je nachdem wie wir es brauchtet, wurden dann die Kinder für die Dreharbeiten von uns abgezogen. Dadurch entstand natürlich auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe, was beim Drehen sehr viel geholfen hat.

Es hat natürlich auch eine Diätküche gegeben, wo strengstens auf die Ernährung geachtet wurde. Was ist dann passiert… Wir haben nach der ersten Drehwoche ein Besuchswochenende für die Eltern zugelassen. An einem Sonntag. Am nächsten Drehtag, dem Montag, war es quasi unmöglich zu drehen, weil die Kinder alle halb krank waren… weil die Eltern ihnen so viel Süßigkeiten gebracht haben.

 

Du hast das erste mal mit Kindern gearbeitet. Erzähle uns wie diese Arbeit funktioniert hat und wie sie sich von der Arbeit mit Erwachsenen unterscheidet?

Die Methode, die Annäherung an das Spiel ist keine andere als die, die man bei Erwachsenen oder bei anderen Rollen machen würde. Es ist wichtig, dass man erst einmal Vertrauen zueinander gewinnt. Was auch sehr geholfen hat, war, dass sich die Kinder untereinander schon kannten.  Das andere ist, dass man für sie beim Dreh eine Atmosphäre schafft, in der sie geschützt sind und die Anwesenheit der Kamera fast vergessen können.

Paradies – Hoffnung ist ja in gewisser Weise als Lolita-Geschichte angelegt zwischen Melanie und dem Diätdoktor. Und da war es interessant für mich zu sehen wie Melanie und der Doktor (Joseph Lorenz)  abseits des Drehens miteinander umgegangen sind. Da war nämlich gar nix, keine Kommunikation,  sie haben überhaupt nichts miteinander zutun gehabt… Und Es war etwas neues für mich. Ich habe es lieber, wenn die zwei Hauptdarsteller, die die Geschichte spielen, sich an die Rollen annähern. Nicht sexuell sondern emotional. Und das war gar nicht. Das hat mich sehr beunruhigt. Im Gegenteil: Melanie hat sich in einen der Jungs vom Diät-Camp verliebt.

Viele deiner Darsteller entblößen sich regelrecht vor deiner Kamera. Gab es da bei der Arbeit am Film Grenzen, wo du gesagt hast: Stop bis hier her und nicht weiter?

Also Stop Beim drehen gibt’s ja selten. Natürlich lässt  man etwas beim drehen nicht zu wenn man das Gefühl hat hier wird jemand verführt etwas zu machen was er nicht machen möchte. Aber letztendlich kommt im schnitt die Wahrheit ans licht. Ich bin mit 90 Stunden drehmaterial an den Schneidetisch gegangen um diese drei filme zu schneiden. Die zuerst als ein Film geplant wahren. Erst mit dem Material kreiert man den film. Es ist egal was man sich im vorherein sich ausgedacht hat, oder was im Drehbuch gestanden ist. Wichtig ist wie die Sachen im Schnitt zusammenkommen so das der film nachher auch funktioniert.

 

Du hast dich bei deinen Trilogie-Filmen mit dem Konzept des Paradieses beschäftigt? Wie siehst du oder was ist für dich das Paradies? Was meinst du damit?

Paradies ist hier gemeint als Sehnsuchtsort. Zunächst war das Thema für die Trilogie drei Menschen, die sozusagen ihr Paradies suchen. In diesem Fall drei Frauen, die auf unterschiedlichste Weise versuchen ihrer Einsamkeit zu entfliehen – auf der Suche nach Sexualität, nach Liebe, nach Zärtlichkeit. Die so akzeptiert werden wollen wie sie als Frauen sind.

 

Du hast eine sehr außergewöhnliche Art und Weise Filme zu machen.Wie schwierig war es für dich am Anfang deiner Karriere diese Machart zu verteidigen? Könntest du kurz erzählen wie du dich als Student gefühlt hast und wie schwer es für dich war, deine Vision des Filmemachens zu verteidigen?

Ich bin sehr spät zum Film gekommen. Mein Interesse galt zuallererst einmal der Fotografie. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der es nicht geplant war, dass ich eine künstlerische Förderung bekomme. Ich bin mit 26 auf die Filmschule gekommen. Ich habe also relativ spät mit dem Filmemachen angefangen, was natürlich seine Vorteile hat. Ich habe schon in sehr vielen Berufen zuvor gearbeitet und hatte einen ganz anderen Zugang zu anderen Welten als ein 18-Jähriger. Insofern war mir auch klar, dass eine Filmschule dafür da sein muss, das Talent der Studenten und ihre Individualität zu fördern. Und nicht vorgibt, wie etwas zu sein hat oder nicht zu sein hat.Mein zweiter Film „Der Ball“ wurde von der Filmakademie eingezogen. Man fand, dass der Film dem Ansehen der Akademie schadete. Ich bin dann von der Schule abgegangen. Ich habe mich dort nicht mehr gesehen und habe dann versucht, unabhängig Filme zu produzieren. Ich habe dann versucht „Models“ zu machen, der zu dem Zeitpunkt nicht fertig wurde, weil ich die Finanzierung nicht herbekommen habe. Es hat dann sieben Jahre gedauert bis ich meinen ersten Kinofilm machen konnte. Der hatte „Good News“  geheißen. Es war ein sehr billiger Film. Ich hatte ein Jahr lang gedreht und einen Rohschnitt erstellt, welcher wieder einen Skandal ausgelöst hat. Die Geldgeber/Kommissionen haben zu mir gesagt, nachdem sie den Rohschnitt gesehen hatten: „Das war jetzt ihre Chance. Sie werden nie wieder einen Film machen.“ Ich habe dann diesen Film fertig gemacht und ihn in Locarno eingereicht, wo er dann ausgezeichnet wurde.  Der Film erlangte dann internationale Beachtung. In Österreich lief er mit nur einer Kopie sehr erfolgreich.

 

Vielen Dank an die Berlinale.